Wer kennt das nicht: Du erhĂ€ltst pro Tag gefĂŒhlt Tausende von Mails oder Instagram-BeitrĂ€ge fĂŒr DEN Online-Kurs, welcher dir verspricht, dass du nun endlich den SchlĂŒssel fĂŒr dein immerwĂ€hrendes GlĂŒck in der Hand hĂ€ltst. Oder du schnappst in einem GesprĂ€ch auf, dass du den Anschluss verlieren wirst, wenn du nicht das IT-Gadget "XY" kaufst. Dein Gehirn suggeriert dir richtig deutlich, dass du etwas verpasst. Dass du den schicksalshaften Schritt zu einem erfĂŒllenden Leben damit gefĂ€hrdest. Das ist natĂŒrlich ein wenig ĂŒberspitzt gesagt, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sich das teilweise wirklich so anfĂŒhlt, als ginge die Welt unter, wenn ich da jetzt nicht SOFORT zugreifeđ
Fakt ist, dass wir in einer Welt voller Optionen leben. Das hört sich ja ganz fortschrittlich und schön an, aber wie sieht es aus, wenn man vor lauter Optionen (BĂ€umen) das Wesentliche (den Wald) nicht mehr sieht? Dass man viel zu viel Geld fĂŒr materielle Dinge ausgibt, die man gar nicht so wirklich braucht? Oder dass man die ganze Energie in Weiterbildungen steckt, damit man ja nichts verpasst, um nicht plötzlich den Anschluss zu verlieren? Und dann so viele Kurse in der Warteschleife hat, dass man dann Abends ins Bett geht und sich denkt, dass man wieder nicht alles geschafft hat.

Also ich bin definitiv ein Opfer dieser Optionen. Ich liebe Persönlichkeitsentwicklung und wenn ich auf Instagram sehe, dass zu meinem Lieblingsthema ein neuer Kurs entwickelt wurde, dann springt mein "Ich will das unbedingt haben"-Muster an. In diesem Moment denke ich mir, dass ich ja noch etwas lernen könnte, was ich jetzt noch nicht weiss.
Im Beitrag Die ewige Sucht nach VerĂ€nderung - und wie man damit umgehen kann â zeitgeistich wird diese Optionensucht sehr gut umschrieben. Luise beschreibt in diesem Artikel sehr nachvollziehbar, woher dieses VerĂ€nderungsbedĂŒrfnis bzw. die Angst etwas zu verpassen, entsteht. Und wie bei jeder Sucht liegen die Ursachen im Belohnungssystem unseres Gehirns. Wie bei der Sucht nach Alkohol zum Beispiel werden dabei unnatĂŒrlich hohe Mengen an Dopamin ausgeschĂŒttet. Dopamin beschert uns ein euphorisierendes oder auch beruhigendes GefĂŒhl, was wiederum das Verlangen nach einem erneuten Kick auslöst.
Wie sieht das nun im Detail bei mir aus, wenn dieses "Ich will das unbedingt haben"-Muster anspringt:
Ich erhalte eine Mail mit einem Angebot fĂŒr einen Kurs, der sich wie fĂŒr mich gemacht anfĂŒhlt.
Ich lese das Mail durch und spĂŒre wie ein GefĂŒhl der Vorfreude, der Spannung sich in mir entwickelt.
Ich lese die BeweggrĂŒnde des Autors durch, weshalb dieser Kurs so wichtig ist fĂŒr mich, ich nicke innerlich und denke mir: "Ja, der Autor kennt mich".
In mir entsteht das GefĂŒhl, dass ich ohne diesen Kurs mich nicht weiterentwickeln werde. Dass ich ohne diesen Kurs auf der Stelle stehen bleibe.
Zu den Argumenten des Autors fĂŒge ich dann im inneren Dialog weitere fĂŒr mich persönliche Argumente dazu.
Das GefĂŒhl wird immer stĂ€rker, dass es absolut "lebensnotwendig" ist, dass ich diesen Kurs jetzt mache. Es ist wie ein Drang, den ich jetzt befriedigen muss.
Vergessen ist der Vorsatz, dass ich mir vor einigen Tagen gesagt habe, dass ich bereits genĂŒgend BĂŒcher zum Thema "Persönlichkeitsentwicklung" habe, die mich aus dem BĂŒcherregal anschauen und "Lese mich" sagen. Vergessen ist auch das Budget, dass ich mir vor einigen Monaten erstellt habe, um mir in ein paar Jahren einen grösseren Traum erfĂŒllen zu können. In diesem Moment gibt es nur noch dieses "Ich will das haben" und alles andere ist wie in den Hintergrund getreten.
Vielleicht kommt dir das bekannt vor, vielleicht auch nicht in dieser ausgeprĂ€gten Form. Fakt ist aber, dass das viele kennen. Und dass sich die ganzen Marketingabteilungen, Unternehmen, Sozialen Medien etc. genau dieses BedĂŒrfnis zu Nutze machen, um uns mit Kursen, Partnerbörsen und Materiellem zu ĂŒberfluten. Diese Optionen fliegen uns von jeder Seite zu. Durch geschickte Algorithmen und Ă€hnliche neue Technologien wird es immer schwieriger werden, diesen Angeboten zu widerstehen. Da diese Angebote ja genau auf unser BedĂŒrfnis zugeschnitten ist. Und diese Angst, dass man ohne diese Kurse/Produkte zu langweilig ist oder das man etwas verpassen könnte, wird immer wieder genĂ€hrt.
Diese Angst ist nicht neu uns nennt sich FOMO (Fear of Missing Out), wie die Techniker Krankenkasse im Beitrag FOMO: die Angst, etwas zu verpassen | Die Techniker (tk.de) beschreibt. Aber in Zeiten von Social Media können wir am Leben unserer Freunde und Vorbilder teilnehmen und sehen, was alles möglich ist. Gleichzeitig kommt einem dann durch diese Vergleiche das eigene Leben so farblos und langweilig vor.

Auf Instagram wird uns im Sekundentakt gezeigt, was wir alles noch nicht haben. Im Feed werden wir mit BeitrĂ€gen bombadiert, welche makellose Körper zeigen, weil die Darmkur XY gemacht wurde. Oder ein Traumdestinationen-Hopping der Kollegin, wo man sich fragt, wie sie sich das leisten kann, wĂ€hrend man selbst bereits fĂŒr 2 x Ferien im Jahr das Geld zuerst Mal ansparen muss. Und man kann sich ja vorstellen, welche Selbstzweifel und Sorgen entstehen, wenn man immer in diesem Mangel bzw. in diesem GefĂŒhl lebt, etwas zu verpassen. Der Mangel nicht gut zu sein, der Mangel nicht erfolgreich genug zu sein, der Mangel zu langweilig zu sein. Dass man erst glĂŒcklich/schön/erfolgreich ist, wenn.....
Kein Wunder, dass durch diese Vergleiche das SelbstwertgefĂŒhl leidet, sich unangenehme GefĂŒhle ausbreiten und die Energie immer mehr abnimmt. Aber warum ist das so? Wissen wir nicht von der Logik her, dass diese Social Media-Bilder nur kleine Ausschnitte aus dem Leben anderer ist? Dass nicht 24/7 alles gezeigt wird, das heisst auch die Herausforderungen und die schwierigeren Zeiten, da man ja der Aussenwelt nur die schönen Erlebnisse zeigen möchte? NatĂŒrlich wissen wir das, irgendwie, aber trotzdem schleichen sich diese Vergleiche ein, die uns fast immer den KĂŒrzeren ziehen lassen.
Was kann ich jetzt dagegen tun? Muss ich ĂŒberhaupt etwas dagegen unternehmen? Das kommt darauf an. Zum Beispiel wie ausgeprĂ€gt dieses Verhalten bei dir ist und ob es dich in deinem Leben negativ beeinflusst. Ich kenne Menschen in meinem Umfeld, die immun gegen diese Angebote/Optionen sind. Diesen Menschen kannst du das Gelbe von Ei versprechen und doch behalten sie einen klaren Kopf und handeln nicht impulsiv. Bei mir ist das stark phasenabhĂ€ngig. Zum Beispiel in Phasen, wo mein SelbstwertgefĂŒhl eh schon leidet (z. Bsp. in den "Tagen vor den Tagen", wo ich immer mit mir zu hadern habe - dazu aber mehr in einem spĂ€teren Beitrag) und ich nicht bei mir bin, dann bin ich sehr anfĂ€llig auf jegliche Optionen, die mich ablenken. Oder die bei mir die Hoffnung wecken, dass es nur noch dieses Buch oder diesen Kurs braucht, damit ich endlich glĂŒcklich bin. Ich habe in meinem Leben schon so viele BĂŒcher gelesen und trotzdem habe ich noch immer das GefĂŒhl, dass ich noch nicht erfolgreich/glĂŒcklich/gut genug bin.
Es gibt bei mir aber auch durchaus Phasen, wo ich bewusst merke, dass mir der Vergleich nicht gut tut und dass ich wieder kurz vor einem impulsiven Entscheid stehe, weil ich ein GefĂŒhl nicht fĂŒhlen möchte. In den letzten Jahren habe ich fĂŒr mich kleine Strategien entwickelt, die mir helfen, besser mit impulsiven Entscheidungen bzw. der Angst etwas zu verpassen umzugehen. Und diese Tipps möchte ich euch hier mitgeben.

Tipp Nr. 1 - Warte einen Tag, bis du die Kaufentscheidung triffst bzw. den "Kauf"-Button online drĂŒckst đ
Ich habe es mir angewöhnt, mindestens eine Nacht darĂŒber zu schlafen. Das heisst, wenn ich etwas entscheiden muss, egal ob ich etwas kaufen möchte oder generell eine Entscheidung zu treffen habe. Ich sage mir selber: "Satu, du darfst dieses Buch, diesen Kurs oder diese Airpods haben, aber zuerst warten wir mal ein, zwei Tage ab. Wenn du es dann immer noch haben willst, dann darfst du es dir kaufen". Ich bin nĂ€mlich so gestrickt, dass ich anfange zu rebellieren, wenn ich mir sofort nein sage. Es kommt dann auch oft dieses MangelgefĂŒhl auf, dass andere sich viel mehr leisten können als ich. Deshalb dieser Zeitpuffer und das "darĂŒber schlafen". Erstaunlich ist fĂŒr mich, dass ich oft, wenn etwas Zeit vergangen ist, plötzlich kein Interesse mehr an der Sache habe. Meine rationelle Seite hat dann Zeit, sich einzuschalten und liefert vernĂŒnftige Gegenargumente. Z. Bsp. dass ich doch einen Sparplan erstellt habe, den es gilt einzuhalten. Und dass ich danach enttĂ€uscht von mir bin, dass ich meine selbst gesteckten Ziele nicht eingehalten habe. ErklĂ€ren lĂ€sst sich das mit dem limbischen Hirn, welches impulsive, emotionsgesteuerte Entscheidungen trifft. WĂ€hrend die rationale Grosshirnrinde eher langsam entscheidet. Das heisst, wenn ich es schaffe diesen Zeitpuffer einzubauen, wenn das BedĂŒrfnis aufkommt, dann hat der rationale Teil des Gehirns Zeit, vernĂŒnftigere Entscheidungen zu treffen.
Tipp Nr. 2 - Lösche sĂ€mtliche Social Media-Apps (Instagram, Facebook, TikTok, LinkedIn) fĂŒr eine Woche auf dem Handyđ”
Ich spĂŒre den stummen Aufschrei, dass ich das doch nicht ernst meinen kann. Was ist wenn ich etwas Wichtiges verpasse, wenn ich LinkedIn fĂŒr eine Woche lösche, fragst du dich vielleicht. Denke an FOMO und die Symptome, wenn du einen Entzug durch machst, wie z.Bsp. die Unruhe. Ich weiss, wie sich das anfĂŒhlt, aber glaube mir, du hast plötzlich so viel mehr Zeit, wenn du nicht mehr stundenlang durch die Social Media-Feeds scrollst. Am Anfang wirst du den Impuls verspĂŒren, das Handy zu nehmen und die Apps wieder herunterzuladen. Aber wenn du stark bleibst und diesen Drang dahinter wahrnimmst, dich diesem Drang aber nicht hingibst, wirst du plötzlich viel ruhiger werden. Und du wirst nicht mehr stĂ€ndig das GefĂŒhl von Mangel haben und die Angst etwas zu verpassen. Ich habe fĂŒr mich die Erfahrung gemacht, dass ich durch diese Ruhe und die weniger vorhandenen Optionen plötzlich wieder viel mehr Energie und Lebensfreude verspĂŒre. Dass ich kleine Dinge, wie z.Bsp. ein gutes Essen oder das Kerzenlicht wieder mit viel mehr Freude wahrnehme und nicht mehr so getrieben bin. Und wenn du ganz zu den Fortgeschrittenen im Umgang mit Social Media werden willst, dann ĂŒbe dich in Zukunft mit einem bewussteren Umgang damit. Das heisst, du setzt fĂŒr dich ein Zeitlimit fest (z. Bsp 1 Stunde am Tag), wo du ohne schlechtes Gewissen surfen darfst. Wie bei den Kindern, die ein Zeitlimit haben, wie oft sie TV schauen dĂŒrfen. Ich mache es auch manchmal so, dass ich mit mir wie mit einer kleineren Satu-Version spreche, wie eine liebevolle Mutter mit ihrem Kind. Ich merk, dass ich dann eher gewillt bin, etwas durchzuhalten, als wenn ich in dieser harten Drill-Sergeant stimme mit mir spreche.
Tipp Nr. 3 - Ăbe dich in Nichts-Tunđïž
Wie schon vorgĂ€ngig erwĂ€hnt, trifft man bei einem ruhigen Geist klarere und oft auch bessere Entscheidungen als wenn man getrieben ist von Unruhe. Eine der grössten Herausforderungen meines Burnouts war das "Nichts-Tun" zu lernen. Das heisst zu lernen, nichts zu tun. Wirklich nichts, nichts lesen, kein TV schauen, nicht etwas im Haushalt machen. Sondern z. Bsp. mit einem Kaffee auf dem Sofa sitzen und vor sich hin starren (besser wĂ€re es aber, das zu geniessenđ). Oder einen schönen Song zu hören und diesen zu geniessen. Oder ohne Ziel und Druck spazieren zu gehen in der Natur. Ohne diese "Ich muss"-Muster. Einfach sein, einfach geniessen, sich die Erlaubnis zu geben, nichts zu tun. Wer das schon mal versucht hat, weiss wie schwierig das ist. Wir leben in einer Gesellschaft die gewissermassen sĂŒchtig nach AktivitĂ€t ist. Nicht, dass AktivitĂ€t nicht etwas Schönes ist, aber wir lenken uns mit dieser AktivitĂ€t oft ab. Von den unangenehmen GefĂŒhlen und vielem mehr. Und das macht das "Nichts-Tun" so schwierig. Diese Ruhe aushalten zu lernen, nicht dem Drang sich hingeben, dass man beim Kaffee auf dem Sofa trinken unbedingt das Spinnennetz jetzt in diesem Moment noch wegmachen muss. Sondern dass man diesen Drang wahrnimmt, sich aber sagt, dass das jetzt warten kann. Dass ich jetzt einfach dasitzen möchte und es geniessen will. Dass ich mir selber die Erlaubnis gebe, einfach zu sein. Ich habe mit ganz kleinen Schritten angefangen. Ich habe mir kleine Notizzettel aufgehĂ€ngt in der Wohnung mit dem Satz "Ich muss gar nichts" und habe versucht wenige Minuten am Tag nichts zu tun. Je mehr ich das praktiziert habe, desto ruhiger wurde ich. Und ich fĂŒhlte mich nicht mehr so, dass ich immer einen Schritt zu langsam bin und nie ankommen werde. Versuch es, es liegt so viel Potential in diesem "Nichts-Tun".
Tipp Nr. 4 - Meide Social Media Profile von Personen oder generell Dinge, die dir nicht gut tunđ«¶
"Satu, siehst du, Annika hat bereits mit 30 ihren Traumjob und du weisst manchmal nicht mal so genau, was du willst" oder "Schau' dir Mal Susanne an, die hat trotz 3 Kinder noch eine Traumfigur und so schöne glĂ€nzende Haare". Was macht es mit uns, wenn wir die ganze Zeit Profilen folgen, die uns suggerieren, dass alles so einfach geht, wenn wir nur genĂŒgend Zeit und Willen existieren? Dass wir alles erreichen können, was wir wollen? Genau, wir schĂ€men uns, dass wir es nicht so hinkriegen, alle anderen nur nicht. Ich habe es mir angewöhnt, mich bei allen Profilen in Instagram, LinkedIn etc. zu fragen, ob es mir gut tut, dieser Person zu folgen. Wie fĂŒhle ich mich danach? Wenn ich mich danach klein und minderwertig fĂŒhle, dann lösche ich diese Profile. Es ist doch eine Art Selbstfolter, wenn man sich den ganzen Tag Profile von mageren Supermodels anschaut, die einen mit ihrem ZahnpastalĂ€cheln angrinsen. Das Leben ist nicht perfekt, wir sind es auch nicht, wieso mĂŒssen wir uns dann stĂ€ndig mit Bildern umgeben, die eine ScheinrealitĂ€t kreieren, die fĂŒr uns unerreichbar ist? Wir sind doch so viel mehr als nur unser Ăusseres und wir haben das Recht, entscheiden zu dĂŒrfen, mit was wir in unserer Freizeit uns beschĂ€ftigen. Und wenn es immer weniger Menschen gibt, die diesen unrealistischen, gefilterten Profilen folgen, wird sich auch der Markt Ă€ndern.
Vielleicht spĂŒrst du wie sehr mir dieses Thema am Herzen liegt. Ich wĂŒnsche mir so sehr, dass wir uns nicht mehr so stark vergleichen und uns selber schĂ€tzen lernen. Wir haben mit so vielen Ăngsten und Zweifeln zu kĂ€mpfen und vergessen dabei, dass wir auch so viel Schönes in uns tragen. Und schon so viel Schönes in unserem Leben da istđ·
Kennst du diese Angst auch? Hast du Tipps, die du uns weitergeben kannst? Ich freue mich ĂŒber jeden Kommentar, jede Anregung. Und vor allem freue ich mich, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Artikel zu lesen. Es bedeutet mir sehr viel, meine Gedanken mit dir zu teilen und dir zu zeigen, dass wir alle so wunderbar "unperfekt" sind.
Satuliđ
Comments